In der U-Bahn erblickte ich kürzlich eine Frau in einem neonfarbenen Bikini mit ausgestreckten Armen: “Aloha, Hawaii – entdecke Hawaii”, erklärte sie. Ich wusste sofort, dass sie mich persönlich meinte.
Wenig später stieg ich um und sah einen roten Fuchs in Jeans und einem gelben T-Shirt, der vorsichtig Ziegelsteine aufeinandersetzte, offenbar um ein Haus zu bauen. “Auf diese Steine können Sie bauen”, verkündete er. Da wir einander nicht offiziell vorgestellt wurden, ging der Fuchs auf Nummer sicher, und wählte eine höfliche und distanzierte Anrede mit dem nötigen Respekt gegenüber einem Unbekannten wie mir.
Wie habe ich diese Nuancen verstanden? Für das englische Wort “You” kennt die deutsche Sprache zwei Übersetzungen, je nachdem, ob eine Person oder viele, ein Freund oder ein Unbekannter, eine ältere Person oder ein Kind angesprochen werden.
Deutsche Werbetreibende müssen diese Feinheiten beachten. Der Reiseveranstalter wollte bei der Werbung für sein Urlaubsziel Hawaii offenbar die Distanz zu potenziellen Kunden verringern, indem er den informellen Imperativ des Verbs “entdecken” (“entdecke” anstatt “entdecken Sie”) wählte. Die Bausparkasse entschied sich mit ihrem berühmten Maskottchen, dem Fuchs, für eine höflichere Form des Verbs “können” (“können Sie” anstatt “könnt ihr”).
Ein großer deutscher Einzelhändler dachte sich kürzlich den neuen Slogan “Bleibt neugierig” aus, der aber leider in letzter Minute verworfen wurde, da ein Vorstandsmitglied befürchtete, mit der zu intimen Anrede der Kundschaft einen schmalen Grat zu überschreiten. Weshalb diese Sorge? Für die Aufforderung wurde die zweite Person Plural des informellen Imperativs verwendet (“bleibt”). Warum hat sich das Unternehmen dann nicht für die höflichere “Sie”-Form entschieden? Wäre das etwas zu steif gewesen?
Englischsprachige Werbeagenturen, die an besonders kreativen Slogans arbeiten, verfangen sich nie in diesem Sumpf aus Sprachebene, Beziehung und Syntax. Im heutigen Englisch gibt es nur “You”, was dieser Sprache mit ihrem universellen Imperativ zur egalitären Ansprache globaler Zielgruppen einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft. “Discover Hawaii, Stay curious” – hier gibt es keine Fallstricke.
Englische Werbesprüche machen sich diesen einfachen Imperativ in vollem Umfang zunutze. Tatsächlich kommt er auch in einem der weltweit bekanntesten Werbesprüche zum Einsatz. Können Sie erraten, an welchen Slogan ich denke?
Geprägt wurde er 1988 von Daniel Weiden, einem Werbefachmann, dessen Kunde ein führendes Unternehmen für Sportbekleidung war. Die Aufgabe bestand darin, die Quintessenz der ultimativen sportlichen Herausforderung zu erfassen, und schon bald enthüllte Weiden seine gewinnende Idee. Viele Jahre später, im März 2015, gestand der erfolgreiche Werbefachmann, dass die Inspiration für den Slogan die berühmten letzten Worte des berüchtigten Doppelmörders Gary Gilmore gewesen waren, der 1977, ein Jahr nach Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA, hingerichtet wurde. Gilmore, der zufälligerweise aus Portland, Oregan, dem heutigen Hauptsitz der Sportartikelfirma stammt, wurde zum Tod durch Erschießen verurteilt. Seine letzten Worte an die Vollstrecker sollen “Let’s do this” gewesen sein.
Mit diesem kurzen Imperativsatz “Let’s do this” hatte Weiden ausreichend Material, um seine Werbebotschaft zu kreieren. Er optimierte die Aussage und entwickelte einen prägnanten Ausdruck für das Gefühl, vor der ultimativen Herausforderung zu stehen. Ja, Sie haben richtig geraten, es geht um den unsterblichen Nike-Slogan “Just do it!” – ein mörderisch guter Werbespruch!
© Carole Eilertson