Welche Farbe hat das Universum? Was bedeutet diese Frage überhaupt? Neulich stieß ich bei einer Tasse Cappuccino in einem Café in der Innenstadt auf einen Zeitungsartikel. Ein Team von Astronomen mit Schwerpunkt Sternentstehung der John Hopkins University in Maryland, USA behauptet, die Farbe des Universums ermittelt zu haben! Ausgehend von den Lichtfrequenzen der Sterne in 400.000 Galaxien hatten die Wissenschaftler die durchschnittliche Basisfarbe des Kosmos berechnet und einen großartigen Namen dafür vorgeschlagen – Cappuccino Cosmica!
Kosmischer Cappuccino! Ich warf einen Blick auf meinen eigenen, eher weltlichen Cappuccino mit seiner Schaumkrone und dachte über den Ursprung des Namens nach. Mein erster Gedanke war, dass sich das „Cap“ in Cappuccino auf die weiße Kappe aus aufgeschäumter Milch über dem Espresso beziehen muss. Oder war das etwa eine falsche Fährte? Ich klappte mein Handy auf, um meine Vermutung mithilfe meiner bevorzugten Übersetzungs-App zu überprüfen. Tatsächlich lässt sich Cappuccino vom italienischen Substantiv cappuccio ableiten, was so viel bedeutet, wie Kappe (oder im Englischen cap). Hinzu kommt das Diminutivsuffix (c)ino , welches eine kleinere oder geringere Form des ursprünglichen Substantivs bildet, in diesem Fall eine „kleine Kappe“.
Ich starrte auf die „kleine Kappe“ meines Cappuccinos. Sollte das schon die ganze Geschichte sein? Ich erinnerte mich daran, dass Amerikaner den Milchschaum gelegentlich auch als „monk’s head“ (Mönchskopf) bezeichnen. Ich googelte „monk’s head“ und erfuhr, dass Baristas aus aller Welt regelmäßig an sogenannten Latte-Art-Wettbewerben teilnehmen, bei denen es darum geht, den perfekten Mönchskopf, also eine künstlerische Schaumkappe, zu gestalten. Es war Zeit, etwas Detektivarbeit zu leisten und den verantwortlichen Mönchen auf die Spur zu kommen!
Es stellte sich heraus, dass im 12. Jahrhundert in Assisi, einer Provinz in Norditalien, ein Sohn in die Familie eines reichen Tuchhändlers geboren wurde, der sein Vermögen in Frankreich gemacht hatte. Das Kind wurde Giovanni (auf Deutsch Johann oder Englisch John) getauft. Zu der Zeit gab es zwei klar definierte soziale Klassen in Italien: die majors (Adel) und die minores (Bauern). Giovannis Familie aber gehörte einer dritten, zwar noch namenlosen, aber dennoch wachsenden Schicht an – den Händlern. Aufgrund seiner Liebe vor allem für die französische Sprache, die sicherlich auch seinem wirtschaftlichen Erfolg in diesem Land geschuldet war, rief Giovannis Vater seinen Sohn schon bald Francesco (der Franzose). Als er älter wurde, lehnte Francesco seine Privilegien ab und äußerte den Wunsch, in Armut zu leben. Die Jahre vergingen, er wurde immer frommer und entschied sich schließlich, sein Leben Gott zu widmen. Als Symbol seiner Bescheidenheit kleidete er sich wie ein gemeiner Bauer, in einer einfachen Tunika aus ungefärbter Naturwolle und einem Seil um die Taille. Andere Männer folgten seinem Beispiel – die Geburtsstunde des Franziskanerordens der Minderen Brüder mit Franziskus von Assisi als dessen Gründer.
Hätte ihm sein Vater aufgrund seiner Affinität zu Frankreich nicht den Kosenamen Francesco (der Franzose) gegeben, wäre der Heilige Franziskus unter seinem Geburtsnamen Giovanni bekannt geworden. San Francisco, eine nach einer nahegelegenen Mission des hl. Franziskus benannte Stadt, hieße heute San Giovanni, und das Technologieunternehmen Cisco, dessen Namen auf eine verkürzte Form seiner Heimatstadt zurückgeht, wäre als Vanni bekannt!
Die Zeit verging und der Orden der Minderen Brüder entwickelte sich stetig weiter. Neue Zweige entstanden und weitere Orden wurden gegründet, darunter die Benediktiner und die Augustiner. Die neuen Orden unterschieden sich durch die Art und die Farbe ihrer Gewänder, von fast schwarz über grau bis hin zu hellbraun, mit und ohne Kapuze – etwa eine frühe Form der Markenbildung? Bis 1520 waren einige dieser Orden recht wohlhabend und verfolgten Praktiken, die der junge Franziskanermönch Matteo de Bascio als sehr weit von den Grundsätzen des Gründers Franziskus ablehnte. Matteos Wunsch nach einer Rückkehr zur Armut, Buße und Einsamkeit führte zu einem erbitterten Konflikt mit seinen Vorgesetzten. Er und seine Anhänger gingen in den Untergrund und fanden Zuflucht bei einer Gruppe von Einsiedlermönchen, an deren Gewändern ein unverwechselbares caputium (auch Kapuze genannt) befestigt war.
Caputium – das lateinische Wort für eine kirchliche oder akademische Haube – geht zurück auf den Begriff caput, was so viel bedeutet wie „Kopf“. Aber auch das deutsche Wort kaputt hat hier seinen Ursprung.
Erfüllt mit Dankbarkeit für die sichere Zuflucht tat es Matteos kleine Gruppe ihren Rettern gleich und die frommen Brüder nähten geduldig Kapuzen an ihre Gewänder. So weit so gut. Dann aber hatte Matteo eine Idee, die die Kaffeewelt revolutionieren sollte: Er färbte die Roben des Ordens mit einer satten, rötlich-braunen Farbe, einem eigenartigen Farbton, der bis dahin völlig unbekannt war. In ihren unverwechselbaren Gewändern durchstreiften sie das Land barfuß als selbsternannte Einsiedlermönche. Doch aufgrund ihrer markanten Kopfbedeckung waren sie schon bald als die Capuchins – die Kapuzenträger – bekannt. Bereits im 17. Jahrhundert war capuchin die Bezeichnung für den besonderen rötlich-braunen Farbton, den Matteo für seine Gewänder gewählt hatte.
Wir kommen zum 18. Jahrhundert. Capuchin ist inzwischen ein Lehnwort in Deutschland/Österreich; im Jahr 1853 wird in den Kaffeehäusern von Wien erstmals der sogenannte Kapuziner getrunken. Die Zubereitung und der Genuss von Kaffee haben sich in der österreichischen Hauptstadt zu einer Kunstform entwickelt, woraus eine Vielzahl von Kaffeegetränken hervorgingen, offenbar inspiriert von den Farben verschiedener Mönchsgewänder: Serviert wurden der hellbraune Franziskaner und der etwas dunklere Benediktiner, aber auch der Kapuziner, benannt nach seiner rötlich-braunen Cappuccino-Farbe, die erfahrene Kaffeesieder durch Zugabe einiger weniger Tropfen Sahne zu einer Mischung aus Zucker, Kaffee, Eiern und geheimen Gewürzen erzielten.
Der Wiener Kapuziner hatte jedoch keine Schaumkappe und so mussten sich Milchschaumkünstler zumindest bis Anfang des 20. Jahrhunderts gedulden, bis Kühlung und Milchschaumtechniken ausgereift waren. In Italien wurde der Begriff Cappuccino erst in den 1930er Jahren für ein Kaffeegetränk eingeführt, das die Italiener nach seinem österreichischen Vorbild, dem Kapuziner, benannten. Der Cappuccino wurde also nach der Farbe der Kapuzinergewänder benannt. Eine etwas freiere Übersetzung von Cappuccino wäre demnach „kleiner Kapuziner“ oder „kleiner Ordensbruder“. Da fällt mir ein: Zumindest den Mönch, Matteo de Bascio, habe ich gefunden (eigentlich ein Ordensbruder). Es lässt sich also sagen, dass das nach ihm benannte Kaffeegetränk die Welt erobert hat.
Nicht aber den Kosmos! Am Ende zeigt sich, dass der Kapuziner sein Ziel knapp verfehlt hat. In einem Wettbewerb um den besten Namen für die durchschnittliche Farbe des Universums wurde anfänglich der Begriff Cappuccino Cosmico als heißester Anwärter und möglicher Gewinner gehandelt. Dann geschah das Unerwartete, zum Leidwesen des Kapuzinerordens und insbesondere von Matteo. Trommelwirbel! Nur wenige Tage vor der offiziellen Namensgebung bestellte Peter Drum, ein führender Wissenschaftler des Projekts, einen Latte Macchiato in seinem örtlichen Starbucks-Café. Überrascht stellte er fest, dass die Farbe seines Getränks mit dem beige-weißen Farbton identisch war, den sein Team ermittelt hatte. Im letzten Moment wurde der Name Cosmic Latte anstelle von Cappuccino Cosmico als offizielle Farbe des Universums gewählt. Und so entpuppt sich der Gewinner als der hl. Franziskus selbst, ein Mann, dessen bescheidenes Gewand aus Naturwolle wohl gut zu Cosmic Latte passt – in der Tat ein kosmischer Sieg für den bescheidenen Francesco!
<<weblinks
Cosmic Latte – die durchschnittliche Farbe des Universums.
https://en.m.wikipedia.org/wiki/Cosmic_latte
© Carole Eilertson